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Paragrafen gegen die Prostitution

Deutsche Fachorganisationen ziehen Bilanz nach zehn Jahren Prostitutionsgesetz – und blicken besorgt zu den Nachbarländern. In Europa nehmen Verbote und Ausgrenzung zu. Vorbild hierfür ist das schwedische Modell zur Bestrafung der Freier.

by Brigitte Hürlimann

“Es betrübt mich nicht wenig zu beobachten, dass Ihre Anstrengungen, die Unzucht zu unterdrücken, nur dazu geführt haben, ihr Vorschub zu leisten, und dass dieser Zweig der Unmoral unter Ihren Händen zum Blühen gekommen ist, als ob er zurechtgestutzt worden wäre, anstatt abgezwackt.”

Bernard Mandeville, London 1724

Wohl über kein anderes Thema streiten sich die Bürgerinnen und Bürger, Politiker, Behördenvertreter und Wohltätige mit mehr Inbrunst als über die Prostitution, und dies schon seit Jahrhunderten und überall auf der Welt. Nach einer Epoche des mehrheitlich liberalen Umgangs wird der innereuropäische Diskurs seit den späten 1990er Jahren immer mehr vom restriktiven, abolitionistisch gefärbten schwedischen Modell geprägt. Feministinnen aller Couleurs oder etwa die Europäische Frauenlobby, ein Dachverband von Frauenorganisationen aus dreissig Ländern, proklamieren das Schwedenmodell als den einzig richtigen Umgang mit käuflichem Sex.

Sklaverei und Prostitution

Der Begriff des Abolitionismus hat seinen Ursprung in den USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts und steht für die Bemühung, die Sklaverei aus humanitären, sozialen und politischen Gründen abzuschaffen. Jahrzehnte später richtete sich eine neue abolitionistische Bewegung gegen die Prostitution: Prostituierte sollten aus ihrer “Versklavung” befreit werden. An diese Tradition knüpfen europaweit die heutigen Gegner und Gegnerinnen der Prostitution an. Und so setzt auch der Staat Schweden Prostitution erstens mit Gewalt gegen Frauen gleich, verneint zweitens, dass es freiwillige, selbstbestimmte Prostitution gibt und bestraft drittens die Freier, die sich auf entgeltliche Sexualität einlassen; in der Hoffnung, die Prostituierten, die nach offizieller schwedischer Lesart ja immer Opfer sind, zu schonen. Langfristiges und erklärtes Ziel Schwedens ist es, die Prostitution abzuschaffen. Ein Blick in die Geschichte zeigt allerdings, dass ein solches Unterfangen noch nie und nirgends gelungen ist. Prostitution blüht auch in jenen Ländern, in denen sie streng verboten ist, also beispielsweise auch in der arabischen Welt.

Das Ende der Sittenwidrigkeit

Die schwedische Vorgehensweise strahlt dennoch kräftig auf Europa aus. Sexarbeiterinnen aus ganz Deutschland sowie Vertreter von Fachorganisationen diverser westeuropäischer Länder sind kürzlich in Bochum zusammengekommen. Sie alle konstatieren mit Besorgnis eine deutliche Zunahme von Verboten, Regulierungen und Ausgrenzungen und damit verbunden eine vermehrte gesellschaftliche Stigmatisierung von Prostitution und Prostituierten. “Lasst uns doch einfach in Ruhe arbeiten”, so der Appell von Lilien, einer Sexarbeiterin und Vertreterin der Berliner Hurenorganisation Hydra, die vor über dreissig Jahren gegründet wurde. Lilien fordert im Namen ihrer Arbeitskolleginnen Selbstbestimmung anstatt Fürsorge und sagt, Huren wollten weder zwangsgerettet noch kriminalisiert werden.

In Deutschland ist seit zehn Jahren ein bundesweit geltendes Prostitutionsgesetz in Kraft. Es umfasst zwar nur gerade drei Paragrafen, hat aber zu einigen Änderungen geführt. So werden Verträge zwischen einer Prostituierten und ihrem Kunden oder ihrem Arbeitgeber als gültig und nicht mehr als sittenwidrig betrachtet – im Gegensatz etwa zur Schweiz. In Deutschland dürfen seit 2002 Bordelle und sogenannte Anbahnungsstätten legal geführt werden. Wer den Prostituierten gute Arbeitsbedingungen bietet, macht sich nicht mehr strafbar, und auch Kontaktanzeigen in den Medien sind erlaubt. Gleichzeitig wurde der Zuhälterei-Straftatbestand dergestalt eingeschränkt, dass sich nur noch strafbar macht, wer Prostituierte ausbeutet oder in deren Willensfreiheit und Selbstbestimmungsrecht einschränkt. Dennoch, so die in Bochum geäusserte Kritik der Berliner Fachanwältin für Strafrecht, Margarete Gräfin von Galen, sei die Anwendung des Gesetzes uneinheitlich und die Bereitschaft, Prostitution mit Vernunft zu regeln, klein geblieben.

Die deutschen Behörden (wie auch jene der Nachbarländer) entdecken mit grosser Kreativität immer wieder neue Methoden, um gegen die Prostitution vorzugehen; sei es mit neuen Steuern, baurechtlichen Auflagen oder aber mit einer Ausdehnung der Sperrbezirke. Trotz solchen Tendenzen ist sich das deutsche Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (Bufas) darüber einig, dass das Prostitutionsgesetz ein erster, wenn auch zögerlicher Schritt in die richtige Richtung ist. Bufas setzt sich für eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Prostituierten ein, für bessere Arbeitsbedingungen und für die Entkriminalisierung des Gewerbes. Das Prostitutionsgesetz, sagt die Berliner Sexarbeiterin Lilien, habe immerhin dazu geführt, dass man sich den Kunden gegenüber nicht mehr rechtlos fühle.

Rigides System in Österreich

Von Fachorganisationen aus den Nachbarländern Frankreich, Österreich, Schweiz und den Niederlanden wird die Situation in Deutschland mit Neid betrachtet. “Wir sind noch sehr weit davon entfernt”, meint etwa Gergana Mineva von der österreichischen Migrantenorganisation Maiz in Linz. Migrantinnen, und zwar vor allem aus Osteuropa, machen dank der EU-Personenfreizügigkeit den Hauptteil der Prostituierten in den westeuropäischen Ländern aus; in Österreich beispielsweise, so Mineva, seien es bis zu neunzig Prozent. Die deutschen Fachleute sind sich darüber einig, dass die Öffnung der Grenzen die Prostitution eindeutig mehr verändert hat als das Prostitutionsgesetz.

Anders als in Deutschland sind in Österreich wie auch in der Schweiz diverse regionale und kommunale Prostitutionsgesetze erlassen worden, die allesamt zahlreiche Pflichten, aber kaum Rechte für die Sexarbeiterinnen kennen – und zu uneinheitlichen, widersprüchlichen Regelungen führen. In Wien etwa wurde ein rigides Gesundheitskontrollsystem für Prostituierte eingeführt, und im Vorarlberg ist Prostitution faktisch verboten: Sie wäre nur in Bordellen zulässig, doch Bordelle werden nicht bewilligt. Immerhin hat der oberste Gerichtshof diesen Frühling die Sittenwidrigkeit der Prostituiertenverträge weitgehend aufgehoben. Prostitution, sagt Gergana Mineva, werde trotzdem nach wie vor im gleichen Atemzug wie Gewalt und Menschenhandel genannt; eine Feststellung, die von Fachleuten anderer westeuropäischer Länder bestätigt wird.

Abolitionismus in Frankreich

Auch Frankreich tendiert klar in eine abolitionistische Richtung. Bordelle sind in der Grande Nation seit Jahrzehnten verboten, und seit 2003 untersagt das Gesetz für die innere Sicherheit zusätzlich noch das aktive und passive Anbieten sexueller Dienstleistungen in der Öffentlichkeit. Das bedeute konkret, so Lucile Favet von der Marseiller Organisation “Autres regards”, dass sich eine Frau bereits dann strafbar mache, wenn sie im Minirock wartend an der Bushaltestelle stehe und in der Handtasche Kondome mit sich trage. “Das ist absurd”, so Favet, “wir betreiben mit grossem Aufwand Prävention, und gleichzeitig wagen es die Frauen nicht mehr, Kondome mitzunehmen.” Zuhälterei wird in Frankreich derart exzessiv ausgelegt und bestraft, dass volljährige Kinder von Prostituierten mit einem Strafverfahren rechnen müssen – wenn sie vom Einkommen ihrer Mutter profitieren. Das schwedische Modell, sagt Lucile Favet, sei in Frankreich in aller Munde, doch die Strassenprostitution habe trotz dem Verbot nicht abgenommen.

Chaos in den Niederlanden

Nicht anders klingt es aus den Niederlanden. Jan Visser von der Amsterdamer Organisation De rode Draad stellt fest, dass die Bemühungen um eine Eindämmung und Verdrängung des Rotlichtmilieus an den Stadtrand zunehmen. Aus Gebäuden mit Fensterprostitution werden Wohnungen, der Strassenstrich in Amsterdam wurde geschlossen, und die meisten Städte verlangen für die Bordelle neuerdings eine Lizenz. “Auch in den Niederlanden geht die Tendenz in Richtung schwedisches Modell”, so Visser, “es gibt immer mehr moralischen Gegenwind.” Der neue niederländische Umgang mit Prostitution habe zu einer chaotischen, undurchschaubaren Situation geführt. Die Huren seien schwierig zu finden, denn anstatt in den wenigen übrig gebliebenen, staatlich lizenzierten Bordellen seien sie in Swingerklubs, FKK-Treffpunkten oder in “Salons für chinesische Massage” versteckt tätig.

Sich prostituierende Migrantinnen aus EU-Staaten – meist handelt es sich um Armutsmigration – sind in Westeuropa zwar ungern gesehen und werden von der Bevölkerung nur zähneknirschend geduldet. Sie bewegen sich aber in einem völlig legalen Rahmen und sind für Beratungs- und Hilfsangebote erreichbar. Schon fast hoffnungslos ist hingegen die Situation der illegal tätigen Prostituierten aus Drittstaaten. Sie fallen durch sämtliche Maschen und sind besonders verletzlich, was Ausbeutung, Isolation und Gewalt betrifft. Ihre Situation wird von den europäischen Fachorganisationen mit grösster Sorge beobachtet – und ihnen helfen auch fortschrittliche Erlasse wie das deutsche Prostitutionsgesetz oder aber die Abschaffung der zivilrechtlichen Sittenwidrigkeit nicht weiter.

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